Präambel

Berlin ist eine Stadt der Vielfalt

Ende 2019 wohnten 3.769.495 Menschen in Berlin. Ihre Lebensstile, sozialen Lagen und Familienformen sind vielfältig. Ein Teil dieser Menschen lebt mit einer Behinderung. Etwa 494.000 dieser Menschen haben eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit. Weitaus mehr der in Berlin lebenden Menschen haben eine Migrationsgeschichte oder eigene Migrationserfahrung. Sie stammen aus 186 Staaten und bereichern das Alltagsleben der Stadt mit einer Vielfalt von Kulturen. Mehr als 250 Religionsgemeinschaften machen Berlin zu einer Stadt der religiösen Vielfalt. Berlin ist auch Regenbogenhauptstadt. Hier lebt eine der größten Gemeinschaften von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen (LSBTI) Menschen in Europa.

Diese Menschen haben eines gemeinsam: den Bedarf an selbstbestimmtem Wohnraum. Wohnen in Berlin bedeutet für die Mehrheit der Menschen Wohnen zur Miete, in individuellen oder gemeinschaftlichen Wohnformen und bei ganz unterschiedlichen Vermieter*innen. Dazu gehören sechs landeseigene Wohnungsunternehmen, über 80 Wohnungsgenossenschaften, große private Unternehmen und privat Vermietende mit kleinen Wohnungsbeständen oder Einzeleigentum. Einige von ihnen leisten bereits aktiv Beiträge zu fairem Vermieten in einer vielfältigen Stadtgesellschaft.


Der für Neuvermietungen verfügbare Wohnraum ist jedoch sehr knapp. Die Konkurrenz um Wohnraum wächst stetig und dies spüren vor allem auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Gruppen. Insbesondere in dieser Situation gilt es, die Machtposition als Vermietende*r verantwortungsvoll zu nutzen, für faires, diskriminierungsarmes Vermieten.


Das Leitbild „Berlin vermietet fair!“ bietet eine Hilfestellung dazu. Für diejenigen, die bereits wichtige Beiträge zu einer fairen Kultur des Vermietens leisten ebenso wie für diejenigen, die dabei erst am Anfang stehen.

Das Ziel

Ziel des Leitbilds ist es, eine große Vielfalt von Berliner Vermieter*innen für eine explizit diskriminierungsarme Wohnungsbewerbung, Vergabe, Vermietung und Verwaltung von Wohnraum zu motivieren. Es zielt langfristig auf ein diskriminierungsfreies wohnungswirtschaftliches Handeln. Vor dem Hintergrund vielschichtiger, bewusster und unbewusster Diskriminierungsformen, die häufig nicht von Einzelnen aufgelöst werden können, spricht das Leitbild jedoch zunächst überwiegend von diskriminierungs- und vorurteilsarmem Handeln. Das diskriminierungsfreie Miteinander bleibt jedoch Vision und Zielstellung der Arbeit gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung.

Der rechtliche Rahmen

Das Leitbild stützt sich auf den gesetzlichen Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG),
des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG), das grundlegende menschenrechtliche Prinzip der Nichtdiskriminierung auch im Bereich des Wohnens, auf den Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) und den im Artikel
13 GG verankerten Anspruch auf die Unverletzlichkeit der Wohnung.

Was ist „Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt“?

„Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt“ meint eine Benachteiligung eines einzelnen Menschen oder die strukturelle Benachteiligung einer Bevölkerungsgruppe bei der Suche nach Wohnraum, der Erlangung eines Mietvertrags und / oder der Nutzung von Wohnraum. Sie kann auch im nachbarschaftlichen Miteinander stattfinden. Solche Benachteiligungen werden in allen Wohnformen beobachtet: beim Wohnen zur Miete, beim Wohnen in Untermiete, Wohnen im selbst genutzten Eigentum, Wohnen in Unterbringungen oder Heimen. Sie verhindert eine gleichberechtigte Teilhabe am freien Wohnungsmarkt bzw. an der öffentlichen Wohnraumversorgung. Da selbstbestimmtes Wohnen eine Grundlage des individuellen und kollektiven Alltagslebens ist, hat Diskriminierung in diesem Bereich meist auch Auswirkungen auf die gesellschaftliche Teilhabe in anderen Lebensbereichen. Beispiele dafür sind der Arbeitsmarkt, das Sozialleben und die Gesundheit.

Diskriminierung erfolgt aufgrund von Zuschreibungen bezüglich eines oder sich überschneidender Merkmale. Diese Merkmale sind überwiegend im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und im Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) als Diskriminierungsmerkmale anerkannt. Im AGG werden auch miteinander in Verbindung stehende Merkmale abgedeckt. So bewertet das AGG z.B. die Sprache als in Verbindung stehend mit dem Merkmal der ethnischen Herkunft. Diskriminierung findet auch aufgrund von Merkmalen statt, die das AGG bisher nicht schützt. Dazu gehören der soziale Status und die Familienform. Mehrfach von Diskriminierung betroffen sind besonders Alleinerziehende* und Großfamilien. Die Arbeit der Fachstelle trägt dazu bei, Diskriminierung auch in diesem Bereich entgegenzuwirken.

Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt findet auf struktureller Ebene und bedingt durch gegebene gesellschaftliche Machtverhältnisse statt oder direkt durch eine spezifische Vergabepraxis. So ist die Struktur des Wohnungsbestands in verschiedenen Marktsegmenten, z. B. der Mangel an barrierefreien und Wohnungen für große Familien als strukturelle Diskriminierung zu verstehen. Indirekte Diskriminierungen entstehen z.B. durch die Umsetzung vermeintlich neutraler Regeln, Satzungen und Vorschriften. Im Bereich des Wohnens sind dies z.B. uneinheitliche, voraussetzungsvolle Bewerbungsverfahren, intransparente Vergabeverfahren und Routinen zur Umsetzung von Vergabevorschriften.

Selbstverpflichtung und Nachhaltigkeit

Das Leitbild zu unterzeichnen, bedeutet eine Selbstverpflichtung, die neun Leitsätze umzusetzen. Das Leitbild kann dabei eigenständig oder in Verbindung mit (v. a. in Unternehmen) bereits existierenden Leitbildern umgesetzt werden. Für eine nachhaltige Umsetzung hat die Fachstelle Vorschläge erarbeitet. Diese berücksichtigen die Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Vermieter*innen.

Für die Umsetzung des Leitbilds soll es – analog zur Charta der Vielfalt – weder ein Controlling noch Sanktionen geben. Zur Selbstverpflichtung gehört jedoch die verbindliche Teilnahme an einer jährlichen Nachhaltigkeitsveranstaltung. Sie dient dem Erfahrungsaustausch und der Weiterentwicklung einer Kultur fairen Vermietens in Berlin. Der Erfolg des Leitbilds hängt maßgeblich davon ab, ob die unterzeichnenden Vermieter*innen bereit sind, ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen und voneinander zu lernen. Ihr Vorbild trägt dazu bei, die Zahl der Unterzeichner*innen stetig wachsen zu lassen.

Die Unterzeichner*innen erkennen das AGG und das LADG als Instrumente zur Umsetzung von Rechten Betroffener an. Sie folgen der Interpretation der Rechtsprechung zur Anwendung des § 19(3) AGG im Sinne der Unterstützung, nicht der Verhinderung von ethnischer und sozialer Vielfalt. Mit der Umsetzung des Leitbilds tragen sie dazu bei, das in der Berliner Landesverfassung verankerte Recht auf Wohnen sowie die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung zu stärken.